Und dann sind wir plötzlich da

Es geht nun immer mehr dem Ende zu. Normalerweise würde sich so langsam ein Gefühl von aufkommender Post-Trail-Depression einstellen. Aber vermutlich überspringt man diese Gefühlslage einfach, wenn man den nächsten Thru’hike schon geplant hat. Das Wissen, dass wir im März auf den Appalachian Trail gehen beruhigt doch ungemein.

Auf dem nächsten Abschnitt gibt es ein paar 10 Meilen Stretche ohne Wasser. Dummerweise auch während der Anstiege, die einem zum Schluss nochmal die Kraft rauben. Dennoch ändern wir unser System nicht mehr, maximal einen Liter zu schleppen. Viel zu viel schleppe ich hingegen an Essen. Spoiler, ich werde den Trail mit über einem Kilo Gewicht in meinem Bearcan beenden. Dennoch, desto näher wir kommen, desto mehr Power habe ich wieder. Im Gegensatz zu Joker, die in den letzten Tagen nochmal richtig kämpfen muss und sich kurz vor Ende zu allem Übel auch noch eine Zerrung im Oberschenkel holt. Dafür klappt bei mir eben das Essen nicht mehr so richtig.

In Mazama kommen wir dennoch einen Tag früher als geplant an, weshalb wir dort einen letzten Zero einlegen. Wir kommen im Lion’s Den unter, in welchem Mary seit 2021 hiker beherbergt. Schlafen tut man in seinem Zeit auf ihrem Grundstück, es gibt eine Küche zur freien Benutzung, zwei Duschen, Pavillons und Mary wäscht unsere Wäsche. Alles auf Spendenbasis. Es ist ein unglaublicher Ort und wir feiern am ersten Abend ausgelassen mit ein Paar Hikern, die gerade den Trail beendet haben.

Mittwoch morgen geht es dann an die letzten 60 bzw. 90 Meilen. Da Kanada das Permit gestoppt hat, mit welchem wir legal auf dem Trail einreisen hätten können, heißt es nun 30 Meilen zurück zum Harts Pass zu laufen, was aber auch irgendwie nett ist, da einen die entgegenkommenden Hiker nun beglückwünschen und abschlagen. In diesen letzten 90 Meilen sprechen wir tagsüber nicht viel miteinander. Wir hören viel Musik und hängen unseren Gedanken nach. Das Wetter ist einfach phänomenal.

Und plötzlich stehen wir vor dem Monument. Es ist Freitag, ja wieder Freitag wie beim CDT Finish und unserer Hochzeit, der 12.09.25. 6 Jahre ist es her, seit dem wir an der Grenze zu Mexiko gestartet sind. Lange Zeit waren wir uns nicht sicher, wann oder ob wir den Trail überhaupt jemals beenden werden. Wenn man älter wird, überlegt man es sich doch einmal mehr, ob man wirklich einen sicheren Job für ein Abenteuer kündigen soll, vor allem wenn man sich in der Arbeit soweit auch ganz wohl fühlt, was nicht immer in unserem Leben so war. Aber wir wissen beide, dass es die richtige Entscheidung war. Wir wollen leben bevor wir sterben. Wie schnell das gehen kann, haben wir in den letzten Jahren immer wieder beobachten müssen. Und dann ist der Hermann gestorben, während wir am anderen Ende der Welt sind. Die fast 3400 Kilometer Trail dieses Jahr haben wir ihm gewidmet, nur weiß er nichts mehr davon. Ich weiß nicht, ob das Leben kostbar ist, aber es ist kurz und wenn man Möglichkeiten hat, es sich schön zu machen, muss man jede ergreifen, die sich einem bietet.

Carpe Diem + Happy Trails

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