Hard to come back

Der Spätsommer hängt wie ein träges Tier von den Bergen, spiegelt sich in meinen Augen. Die Beeren bersten, platzen, schwarz-lila und ihr Geruch hängt überall. Vergoren, doch immer noch schön anzusehen.

Man fühlt das Ende des Sommers, in der Luft, im Wind. Die Bäume tauschen langsam ihr Kleid, alles hat den Zenit erreicht und beginnt zu sterben. Zumindest zu schlafen. Einen ewigen Winter lang.

Fast ertrage ich dieses Gefühl nicht. Nachts wird es nun empfindlich kalt, die Nordwinde pfeifen über das Land, aber ich bin für dieses Wetter gemacht. Sie blasen eisig in meine Ohren und warnen mich vor Schnee und Eis. Sollen sie doch, ich stehe hier und bleibe.
Und noch ist es Sommer, ein langer Sommer, ein einzigartiger.
Wir fahren mit „superglue“ zum resupply nach Winthrop, als alles gesagt ist, verfallen wir in ein meditatives Schweigen. Washington zieht am Fenster an mir vorbei, Baum, Scheune, Nichts, Gras, Wald, Baum, Schild, Ranch, Scheune, Wald.
Ich kann nicht glauben, dass wir den Norden der USA erreicht haben. Washington ist außerhalb meines Fensters. Es ist wunderschön. Fast vertraut. Und zum ersten Mal spüre ich einen Stich und weiß, dass es schwieriger wird, als gedacht.
Mary überträgt mir im Lions die Leitung, wenn sie  nicht da ist. Ich schaue wohl so aus, als könnte ich das. Gar kein schlechter Job. Wir lackieren erneut unsere Nägel, wappnen uns für den letzten Stretch. Mary hat ziemlich viele Hawaii Klamotten, die wir alle anziehen, während unsere stinkigen hiker-Klamotten, Textil-Helden, die es bis hierher geschafft haben, in der Maschine Kreise drehen.
Lustigerweise greifen viele Männer nun zum Kleid, was ein wundervolles Bild abgibt. Ich brauche einen Frauenabend und unterhalte mich mit Silvia und einer älteren hikerin über Dinge, die normalerweise tabu sind. Wir tauschen Geheimnisse aus, die verborgen bleiben werden. Frauengeheimnisse, von Generation zu Generation. Genau das habe ich gebraucht.
Als wir dann am nächsten Morgen losgehen, wollen wir es endlich hinter uns bringen. 60 Meilen trennen uns von einem Vorhaben, das wir 2019 begonnen haben. Die ersten 1,5 Tage bin ich etwas enttäuscht vom letzen stretch. Ab dem harts pass kommen uns dann hiker entgegen, die schon gefinished haben und nun auf ihrer victory lap zurück sind. Es ist magisch. All diese glücklichen Gesichter, all die Menschen, die einem versichern, dass sie ein ganz besonderes Erlebnis hatten, und uns das Gleiche wünschen. Das macht es einfacher. Sich mit anderen zu freuen.
Was mich nicht so sehr freut ist mein Oberschenkel, ohne Ibuprofen kann ich den letzten Stretch nicht laufen. Es tut höllisch weh, eine Zerrung, die ich natürlich ignoriert habe. Trotz allem können wir 23 Meilen locker laufen. Mit der Schwäbin Silvia im Gepäck ist es auch sehr lustig.
Als wir dann endlich den Rock pass überwinden, wird es richtig, richtig schön. Wir genießen die letzten Meilen und als wir auf einem Grat Sicht auf Kanada und die USA gleichzeitig bekommen, ist es doch soweit. Ich wollte es nicht, aber die Tränen laufen und laufen. Sind nicht zu stoppen. Es ist einfach zu schön. Und zu traurig zugleich.
Am dritten Tag kommen wir dann zum Monument. Von einem wunderschönen grünen See aus ist es ein sehr entspannter Weg downhill, am Ende durch einen Wald und ich ahne es, bevor ich es sehe:
Da steht es, das Monument, das ich so begierig wollte, seit 6 Jahren. Und ganz einfach hole ich tief Luft, fange an zu laufen und bin dort.
Auf dem Weg zurück zum harts pass werden wir nun gefeiert. Wir sind die, mit dem wissenden Blick, die alles gesehen haben, die alles erreicht haben. Und die, welche uns entgegenkommen, klatschen für uns.
30 Meilen später, am harts pass:
Es hat den ganzen Vormittag geregnet, wir sind pitschnass, dann endlich betreten wir das 2. Monument: das trail magic Zelt.
30 hiker sind dort versammelt, jeder wird beglückwünscht, mir ist das zu viel. Ich hole mir einen amerikanischen Filterkaffee mit viel Zucker und viel creamer und treten hinaus aus dem Zelt, Regen prasselt auf mich nieder, der Sturm rüttelt am Zelt und an mir, doch das ist mein Moment, ganz für mich selbst. Noch einmal die heftige Gewalt der Natur spüren, sich ihr hingeben, mit einem Kaffee in der Hand. Alle anderen sind dort im Zelt, geschützt und trocken, aber ich bin hier. Und ich bin glücklich.  Das ist mein Bild vom Ende des trails.
Ich laufe durch Vancouver, alles ist zuviel. Die leuchtenden Reklamen, die röhrenden Autos, die Menschen. Lubos und Terezas Apartment ist eine Bastion. Eine Bastion gegen die moderne Welt. Seit einer Woche sind wir hier und ich verstehe es noch immer nicht:
Menschen kommen und gehen irgendwo hin, währen ich zusehe.  Von der Arbeit nach Hause, gehen essen, machen Sachen.
Sie treffen sich in Glascontainern, mit schicken Sachen und rühren in ihrem Kaffee.
Es schaut von außen seltsam aus. Zu viele Personen kreuzen meinen Weg und gehen irgendwo hin: zur U-Bahn, zum Bus, nach Hause, zur Arbeit …
Ich stehe in der Mitte und verstehe das alles nicht, dieses geschäftige Verhalten, ohne nach links und rechts zu sehen, ohne nachzudenken, ohne Alternative.
Ich vermisse die positive ami Art, jemand, der zu mir sagt: have a wonderful day, love! Not just a good day, not just a nice day. A wonderful day!!! Ich möchte einen wonderful day.
Ich bin eine leere Hülle und fühle nichts, rieche nichts, sehe nichts. Nichts von Bedeutung. Die Stadt ist eine Stadt wie jede. Wahrscheinlich ist sie ganz nett, am Meer gelegen.
Ich wate durch Menschenmengen, jeder ist dem anderen egal. Ich verstehe das Konzept Wohnung nicht, und doch bin ich froh, dort zu sein. Zu arbeiten und zu arbeiten bis tief in die Nacht hinein um einen Platz zu haben, den man so gut wie nie sieht, nur um mehr Geld zu verdienen, um an einen besseren Ort zu ziehen.
So viele Menschen auf dem Trail haben mein Lächeln bewundert. That smile! You look so happy! And I was. Jemand hat mir mal gesagt, dass alle truhiker dieses typische Lächeln im Gesicht haben.
Mein Lächeln ist eingefroren, ich hole es kurz für Fotos hervor. Es ist nicht echt.
Ich habe mir eine Jeans gekauft, und ein Shirt. Um mich normal zu fühlen. Aber was ist schon normal?
Heute bin ich rastlos herumgelaufen, noch nie in meinem Leben habe ich mich so einsam und allein gefühlt. Mit so vielen Menschen um mich herum. Im Supermarkt wollte ich coole Sachen kaufen, zum Kochen. Gesunde Dinge. Zwischen den Gängen war ich einfach nur verzweifelt. Diese immense Auswahl zu haben! So lange habe ich davon geträumt, was ich kochen werde, wenn wir endlich fertig sind. Zu viel Auswahl. Und zu viele Menschen. Am liebsten wäre ich auf die Knie gesunken, hätte meine Hände übers Gesicht gelegt und hätte herzzerreißend geweint.
Habe ich nicht. Ich habe gekauft, was ein hiker kaufen würde, zu mehr bin ich nicht fähig hier in dieser Stadt.
Gestern: wir laufen mit Lubos zum 3rd Beach im Stanley Park. Der Wind verfängt sich in meinen Haaren, die Seeluft ist schwer und süß. Auf der anderen Seite treten Landzungen hervor, wir stapfen am Meer entlang, mitten in der Stadt. Das ist einmalig.
Trommeln aus der Ferne, Gestapfe und Rhythmus. Das Meer.
Wir lassen uns im Sand nieder, der schon kühl ist, die Lichter von der andern Seite leuchten, die Trommeln vibrieren und die Menschen tanzen ausgelassen.  Die See riecht wunderbar, ich möchte meine Nase hineinstecken, der Sand rieselt durch meine Hände. Ich fühle etwas, rieche etwas, schmecke etwas. Die Sonne geht hinter mir unter in vanilla root beer cream orange. Ich bin glücklich.
Happy trails

3 thoughts on “Hard to come back

  1. Was für ein schöner und gleichzeitig trauriger Text…

    Ich freue mich mit euch, dass ihr diesmal euer Ziel erreicht habt – herzlichen Glückwunsch

    Ich war noch nie SO unterwegs wie ihr – aber ich kenne diese Gefühle – zuviele Menschen, alles irgendwie zuviel, alles zu laut – und in diesem Durcheinander doch einsam…

    Hoffe du/ ihre gewöhnt euch wieder an die Zivilisation…

    Fühl dich gedrückt

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