California Sunset – ein Exkurs 

Kalifornien: allein der Klang erweckt synästetische Gefühle. Jede Silbe schmeckt nach Orangen, der Geruch von Zimt und Räucherstäbchen liegt in der Luft, ein bisschen Sonnencreme, Tacos und Vanille….
Kalifornien ist ein verheißungsvoller Traum, schon für die Siedler, die für die Aussicht auf ein besseres Leben die harte Reise nach Westen auf sich nahmen. The West is the best. In San Francisco:  Kerouac, Burroughs und Ginsberg hacken Romane und Gedichte in klappernde Schreibmaschinen, die Beat-Generation hat diese Stadt  auserkoren, um den Grundstein für die Hippie-Kultur zu legen. North Beach wird intellektuelles Zentrum für Nonkonformismus, Kapitalismuskritik, Spiritualität, Selbsterfahrung durch  Reisen, Drogen, Musik, Literatur. Ein Aufschrei. Eine Klage und Anklage.
Eine Dekade später ziehen Blumenkinder in Scharen dorthin, eine neue Generation, die die Welt verändern will.
Ich war wahrscheinlich ca 6 oder 7, als ich im Autoradio Scott Mckenzie‘s „San Francisco“ hörte, natürlich das Lied eines damals schon alten Mannes, der keine Ahnung von der Hippiebewegung hatte, und doch habe ich es schon als Kind gehört: diese Magie, diese Sehnsucht, diese Verheißung! Ich war verzaubert.
Unsere Lieblingsserien spielten in Kalifornien, wir wollten mit Colt Seavers Verbrecher jagen oder durch „die Straßen von San Francisco“ rasen. Wir wollten nach Amerika!
Als wir diesen Urlaubsvorschlag unseren Eltern mitteilten, wurde er jedes Mal abgeschmettert. Zuerst war es zu teuer, später offenbarte unser Vater seine wahren Gründe:
Europa war die Wiege der Kultur und niemals, niemals, niemals würde er auch nur einen Fuß in dieses kulturlose Land ohne Vergangenheit setzen, welches uns nur mit Schwachsinns-Serien, blödsinniger Werbung und Dummheit überschüttete.
So wurde Amerika in der selben Schublade abgelegt, wie Wasserparks, sonstige Vergnügungsparks oder Volksfeste: Orte, die unsere Eltern niemals mit uns besuchen würden.
So verbrachten wir unsere Ferien in kulturreichen Ländern Europas, wandelten durch die Gemäuer Spaniens, schliefen in seltsamen Jugendherbergen und in alten Schlössern, suchten alte Relikte in Italien, buddelten auf Ausgrabungsstätten, bestaunten alte Kulturen in Florenz, lauschten alten Geschichten über Könige und Kaiser und verstummten in Konzentrationslagern.
Doch Kalifornien ließ mich nicht los, die Musik der späten 60er, die immer warm, zimtig und nach Sonne klingt, selbst wenn sie furchtbare Geschichten erzählt oder sich durch die dunkle Nacht schleicht. Autoren wie T. C. Boyle, Tom Robbins, John Muir, Kerouac, Ginsberg, Burroughs, Pynchon faszinieren mich heute noch. Mullholland drive, Big Lebowski, Pulp fiction, Vertigo, drive, Boogie nights, Californication …. Filme und Serien aus der Traumfabrik Hollywood. Verstörend, witzig, dunkel und wunderschön. Ein Versprechen. Eine Verheißung. Ein Traum. Ein Mysterium.
Das ist Kalifornien für mich.
Und immer noch ist es für mich der abwechslungsreichste Staat. Von Wüsten über hohe Bergketten, von sage brush zu Kiefern und Mammutbäumen, schwarze Eidechsen räkeln sich, chipmunks flitzen über Baumstämme, Kolibris fliegen wie Hubschrauber an meinem Ohr vorbei. Der Duft von Pinien, das Gluckern der Flüsse in der Nacht, das Gefühl nach einem Bad in einem Gebirgssee, staubige Straßen, weicher Boden mit Piniennadeln bedeckt.
Kojoten heulen in der Nacht, die Abwesenheit von Geräuschen am Morgen, seltsame Vogellaute. Rehe, die Socken stehlen, Murmeltiere, die ihr Reich bewachen. Unwirkliche Eislandschaften vor meinem Auge, ein See reiht sich an den anderen. Die Sonne schmeckt nach Zimt.
There ain‘t no Californian without you.
Unser letzter Stretch in Kalifornien ist einer, den viele hiker überspringen. Quincy – Chester ist gezeichnet vom Großen Dixie Feuer 2021. 400000 ha, ca 80 Meilen zwischen den beiden Städtchen: alles verbrannt, alles tot.
Und doch, der Tod hat seine Schönheit. Gekrümmte schwarze Bäume, verbrannte Körper, eingefroren für immer.
Tiere kehren zurück. Eines Mittags sitze ich 1 Stunde im nachwachsenden Grün und beobachte 2 chipmunks, die eine kleine Kiefer rauf und runter klettern. Immer wieder. Vögel gesellen sich dazu. Es ist so friedlich, dass ich nicht mehr aufstehen möchte.
Rehe schauen vorbei, Blumen sprießen. Bis der Wald wieder steht, werden Jahrzehnte oder Jahrhunderte vergehen. Hoffentlich gehen wir dann vorsichtiger und besser mit unserer Natur um. Ich bin Idealistin. Wir können das besser!
Da wir den letzten Stretch anders herum laufen, weil die Busverbindungen in Quincy besser sind, ist unser Abschiedsstretch eine echte Abschieds Tour: wir begegnen so vielen hikern, die wir länger nicht gesehen haben, und die scheinbar nur kurz hinter oder vor uns waren. Ich freue mich, Cookie Monster noch einmal zu sehen, wir haben einen ganzen Abend gequatscht, als alle in Kennedy meadows north schon im Bett waren. Goldfish der jüngere, Woodstock und Rogue, Daniel, und Star.
In Quincy beenden wir Kalifornien, es ist geschafft. Der längste Staat des PCT, fast 1700 Meilen.
In Quincy erfahren wir nochmal die absolute Gastfreundschaft der Amerikaner. Wir haben einen Schlafplatz bei Susann, sie hat uns kurzerhand ein Auto vor die brewery gestellt, alter Toyota, Kastenwagen, Schaltung. So können wir unabhängig einkaufen und dann zu ihr fahren. Schlüssel im Aschenbecher.
Susann ist der Hammer. Zusätzlich hat sie Besuch von einem alten Freund mit 2 jungs und ihrer Enkelin, mit der sie morgen nach Disney Land fährt. Ein wunderschöner Tag mit tollen Gesprächen und ein Ausklang am Feuer im garten mit Marshmallows und Smores, Weißwein und Margaritas. Als wir am nächsten Morgen nach der donation Box fragen, meint Susann, das möchte sie nicht.
Ein wundervoller Abschluss eines wundervollen Staates, mein Lieblingsstaat, für immer in meinem Herzen.
Kalifornien.
Happy trails

10 thoughts on “California Sunset – ein Exkurs 

  1. Liebe Myrtis, eine wunderbare Schilderung deiner Gefühle und Gedanken. Du bist eine großartige Schriftstellerin! Viele Grüße aus Old Germany von Hans

    1. Ganz lieben Dank, Hans, ein tolles Kompliment, vor allem, wenn es von einem so tollen Autor und Geschichtenerzähler wie dir kommt!
      ♥️♥️

  2. Liebe Myrtis,

    es ist zwar unoriginel und langweilig aber ich muss mich den anderen anschliessen. Dies ist wohl das Beste was ich seit langem gelesen habe. Es hat das „Wasser der Gefühle“ zum Laufen gebracht. Einfach wunderschön! Jetzt habe ich ein völlig neues Bild von Kalifornien. <3

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