Zauberberg

Pretzel lackiert Bubbles und mir die Nägel in neon- lila. Ein kicherndes Knäuel aus drei Frauen aus 3 Jahrzehnten, die sich wie Teenager benehmen, weil wir endlich in Kennedy Meadows sind, town-day!!!Irgendwie ist es witzig, sich in unserem Zustand „hübsch“ zu machen: unsere Beine sind haarig, braun und unten, wo die Socken sind, kreidebleich, unsere Haare : reden wir nicht darüber. Unsere Gesichter verbrannt, unsere Kleidung löchrig und schmutzig und überall klebt Dreck, der nie ganz abgeht.
Aber wir fühlen uns schön wie nie zuvor!
Und bei all dem Gekichere: es ist auch eine Art Kriegsbemalung, ein Ritual, ein stiller Zauberspruch, der uns beschützen soll. Wir sind KriegerInnen am Vorabend der Schlacht. Denn Kennedy meadows ist episch, ein Viertel des trails ist geschafft, die Wüste liegt hinter uns und der härteste, gefährlichste und schönste Teil liegt vor uns. Die high Sierras. Hierher lassen sich alle hiker neue Ausrüstung schicken, Shirts werden ersetzt, der wärmere Schlafsack und eine weitere Schicht Kleidung werden ausgepackt. Und natürlich der Bearcan, ab hier ist Bärenland!

In den PCT musste ich mich erst wieder einfinden, der Flow ist anders als der AZT und anfangs waren mir hier einfach viel zu viele hiker! Gewöhnungsbedürftig nach dem einsamen AZT. Die hiker der ersten Tage hatten wir bald abgehängt und ab dem Walker pass hat sich eine kleine Gruppe manifestiert, die ich super finde! Frazier, der Kiwi ist riesig und unglaublich witzig, Pretzel hat bis sie 3,5 war in Franken gelebt und spricht perfektes deutsch, Bubbles ist superschnell und ein Schatz, Captain black beard ist unser Tschechen-Ersatz, erst sehr wortkarg, mittlerweile ziemlich lustig.

Nach dem Walker Pass steigen wir Richtung Kennedy meadows auf: ganz plötzlich werden die Sandberge der Wüste steinig, die Büsche und Joshua trees zu hochaufragenden Pinien und die glitzernden Salamander, die aus allen Richtungen über Steine flitzen, werden zu chipmunks. Alles bleibt, es wird nur anders.
Am town day haben wir am Morgen nur noch ein paar Meilen und erreichen endlich das Tor zu den Sierras auf ca 2000 Meter Höhe. Wir duschen, essen, trinken und feiern für 1,5 Tage. Die Stimmung hier ist ausgelassen, jeder freut sich, dass er es bis hierher geschafft hat. Kennedy meadows, ein magischer Ort in den Bergen. Eine hiker-Blase, in der das Real-Life nicht existiert, ein Elfenbeinturm, ein Zauberberg. Die Angriffe Israels auf den Iran: Kriegen wir nicht mit. Am ersten Abend gibt es live Musik und ich entdecke, dass die Margarita genauso groß wie das Bier ist und genausoviel kosten. (Was leider überhaupt nicht für die Bierpreise spricht. Anm. d. Lektors). Diggity dog! Frazier und Red Man tanzen, wir singen und freuen uns einfach. Am nächsten Tag kommen noch mehr hiker an, die wir kennen und wir sind abends eine fröhliche große Runde. Cecilia und Jenson, Mango und Cook, den ich versehentlich cock nenne, Star und Fortune Cookie. Wie schön, alle wiederzusehen! Ich finde es immer wieder interessant, wie schnell sich in einer anderen Umgebung mit anderen Anforderungen Gruppen herausbilden. Man bemerkt das ganz deutlich beim Wasser auffüllen, am Wasserloch also. Da sind die, die sich schon kennen und zusammensitzen, diejenigen, die sich aufspielen und die, die im Hintergrund bleiben und alles beobachten. Ganz schnell haben wir in unserer Gruppe eine geschützte Zone entwickelt, in der Dinge gesagt werden, die man sonst nur mit guten Freunden bespricht. Das finde ich einzigartig! Am Ende des Abend stolpere ich mit Ramen-shaman, einem ziemlich gutaussehenden mitt- fünfziger mit ca 0 Gramm Fett am Körper irgendwie zum campground. Was für ein Abend!

Nach Kennedy geht es weiter nach oben, auf ca 3260 Meter, dank Diamox habe ich keine Kopfschmerzen oder Übelkeit, dafür schmeißt es mich mal wieder der Länge nach auf wunderbarem Geröll hin! Mein Knie ist eine klaffende, rote Fleischwunde. Frazier hat Gaze und irgendwie verbinden wir alles. Am 2. Abend schlafen wir alle auf einem wunderschönen Platz, hochoben in den Sierras. Abends wird es nun empfindlich kalt und hier oben ist es ziemlich windig. Irgendwie hat die Höhe alle dämlich gemacht: der Tscheche hängt eine Erdnussbutterdose in seinem Zelt auf, weil er einen Bären fangen will, Bubbles beschließt, bei der Kälte ohne Zelt zu schlafen und Frazier trägt 1,5 h Steine durch die Gegend, weil er eine Mauer bauen will ……Red Man und ich amüsieren uns köstlich, es ist wie fernsehen.
Am 4. Tag trennen sich unsere Wege, wir gehen nach Lone Pine, um Verbandszeug für mein Knie zu kaufen und natürlich Essen. Die anderen gehen weiter, jedoch besteigen sie Mount Whitney, der nicht zum pct gehört. Wir haben den Whitney schon abgehakt, deswegen treffen wir uns alle hoffentlich am Freitag im base Camp zum forester pass, mein Angstgegner und höchster Pass auf dem PCT. Es wäre sehr cool, wenn wir das zusammen machen könnten! Falls alles gutgeht, melden wir uns dann aus Bishop!

Happy trails!

2 thoughts on “Zauberberg

  1. Herrlich geschrieben wie immer. Man kann sich alles bildlich vorstellen. Leider auch das verletzte Knie. Gute und schnelle Genesung. Ich gehe heute Abend mit Petra auf das Nürnberger Bierfest. Dort gibt es auf Euer Wohl ein Seidla vom Schanzenbräu

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