Ulysses Pt. 2

Everything must go (Manic street preachers/ everything must go)

„Ihr Lieben“ klingt immer so abgedroschen, aber ich sage es hier in vollem Bewusstsein: ihr Lieben, ich danke euch von Herzen für eure letzten Kommentare, Nic, Hans, Hermann und Elke, Corinna und Harry, Lotti und natürlich Burkhard.  Und auch den anderen, die immer fleißig kommentieren oder uns schreiben: Tina, Christine, Steffi. Besonders habe ich mich über Claudias Kommentar zum Rodeo damals gefreut, weil ich da ziemlich vom Leder gezogen habe, und gar nicht wusste, ob ich es veröffentlichen soll…. Auch wenn wir fast nie antworten, weil wir dann schon wieder unterwegs sind, freuen wir uns immer sehr. Besonders eben das letzte mal, weil wir etwas lost und fertig waren. Danke. 

In dem lustigen outfitter im Nirgendwo, den Thomas schon erwähnt hat, irgendwo in den Bergen Montanas bei Lincoln, trocknen wir nach den heftigen Gewittern am Morgen alle unsere Sachen. Sinnombre, Pittsburgh, Keebler, Bodhi, Emma, Patches und wir. Mehr sind wir gerade nicht, die eine Blase ist vor uns, die andere hinter uns.  Dave, der Besitzer und scheinbar auch Bewohner des Ladens ( es steht ein Bett hinter der Theke) ist ein bärtiger, hagerer Typ, der Vor- und Nachteile jedes Artikels seines Ladens kennt. Es ist ein Labyrinth aus Kleidung, Schuhen, Rucksäcken und allem anderen, in dem man sich glaube ich verlaufen kann. Ich würde mich nicht wundern, wenn Dave eines Tages hier einen toten hiker finden würde. 

Ich frage Dave, ob er zufällig weiß, wo Ted Kaczynskis Blockhütte stand, und er lächelt mich an und sagt, natürlich, und gibt mir eine Wegbeschreibung. Wir sind gar nicht so weit von der cabin entfernt, doch es wären ein paar Meilen Umweg. Wäre ich ein Kaczynski-Groupie, würde ich die Meilen laufen und mich an diesen Ort begeben. Doch das bin ich nicht, ich lese und schaue nur gerne Serientäter- Geschichten. Wer noch nie einen Krimi in Bild und Ton oder in Buchform konsumiert hat, darf den ersten Stein werfen. Und dass das Böse die Menschheit fasziniert, darüber könnte man eine gute Abhandlung schreiben, mache ich vielleicht später mal. 

Außerdem: wenn mein Trail Name nicht Joker wäre, wäre er „no extra Miles, no extra elevation“, also, sorry Teddy. 

Theodor John Kaczynski wird am 22. mai 1942 geboren. Er gilt als mathematisches Wunderkind und übersprringt eine Klasse, was seine Sozialisierung wohl nicht gefördert hat. Mit 16 schloss er die Schule ab, durch ein Stipendium kam er nach Harvard und studierte Mathematik. Dort nahm er an einer Studie seines Professors teil, in der er 3 Jahre lang jede Woche erniedrigt und totalem psychischen Stress ausgesetzt wurde. Wahrscheinlich wurde diese Studie damals vom FBI geleitet um Versuche an Menschen vorzunehmen, indem man ihnen LSD verabreichte, um die Gehirnwäsche zu optimieren. Und das alles unter dem Deckmantel einer wissenschaftlich relevanten, einzigartigen Versuchsreihe, an der nur die besten der besten stolz teilhaben durften. Zum Kotzen!!

Dann folgten Masterstudium und 1967 der Doktorgrad, dann einige Preise und Artikel in Fachzeitschriften. Ein Mitglied von Teds Dissertationsausschuss sagte, er glaube, dass Ted im ganzen Land wahrscheinlich nur ca 10 Menschen verstanden, so überdurchschnittlich intelligent war dieser junge Mann. 

Im Herbst 1967 bekam er eine Assistenzprofessur an der renommierten Uni Berkeley, eigentlich eine perfekte wissenschaftliche Karriere, sollte man meinen. 1969 kündigte er auf einmal, ohne Angabe von Gründen. 

1971 begann Kaczynski mit dem Bau einer Hütte bei Lincoln, Montana, in der er als Selbstversorger ohne fließend Wasser und Strom lebte. 

Zwischen 1978 und 1995 verschickte der Unabomber 16 Paketbomben an Universitäten und Fluggesellschaften, um auf die „Aushöhlung von Freiheit und Würde der Menschen durch die Moderne Welt“ aufmerksam zu machen. Er hoffte auf einen Aufstand der Menschen gegen das System.

Jahrelang waren 150 Mitarbeiter Vollzeit mit der Suche nach ihm beschäftigt. 1985 veröffentlichte Ted sein Manifest „Industrial society and its future“, 35000 Worte. Letztendlich konnte durch „linguistische Forensik” ( Begriffe, Redewendungen, Aussprache, die einer bestimmten Region, Schicht, Bildungsstandard usw zugeschrieben werden können) das Profil angepasst werden. Die ersten Profile ergaben nämlich einen eher einfachen, ungebildeten Spinner, der wahrscheinlich Mechaniker war. Etwas daneben.  Teds Bruder gab dann, nach Veröffentlichung des Manifests, den entscheidenden Hinweis. 

Am 3. April 1996 wird Kaczynski in seiner Hütte in Montana festgenommen. 

Sein Bruder versuchte, ihn als psychisch krank hinzustellen und die Verteidigung darauf aufzubauen, um ihn vor der Todesstrafe zu retten. Ted wollte sich aber selbst verteidigen. Seine Abstempelung als „psychisch krank“ sah er als Mechanismus des Systems, sich selbst zu erhalten. Als ihm eine Selbstverteidigung verwehrt wurde, versuchte er, sich 1998 zu erhängen. Kaszynski wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt und verbrachte seine Zeit in „Florence“, Colorado, DAS Gefängnis für Schwerverbrecher. Seit 2021 sitzt er in Butner, North Carolina. 

Warum ich diese Geschichte erzähle?

Weil wir ganz in der Nähe von Kaczynskis Hütte waren und die „Montanans“ schon ein besonderes Völkchen sind. Montana ist sehr konservativ, aber nicht im christlichen Sinn, sondern eher: das ist mein Recht, das steht in der Verfassung, das ist mein Grund und Boden, das ist meine Waffe, verpiss dich von meinem Grundstück. Wir haben eine etwas versteckte Aussteiger Siedlung in den Wäldern gesehen, abgeschottet, die Leute wollen unter sich bleiben. Ich dachte mir, hier könnte man ausgezeichnet jemand unterbringen, den man entführt hat und keiner würde einen jemals finden. 

Weil Montana einen ganz bestimmten „vibe“ hat, mit seinen dichten, dunklen twin peaks Tannen, mit zerstörten alten Brücken oder Blockhäusern tief in den undurchdringlichen, unendlichen Wäldern, mit interessanten aber kauzigen Bewohnern ….

Hier passte Ted wahrscheinlich gut hin. Er wollte dem Lärm der Gesellschaft entfliehen. Er wollte alleine sein und ein ursprüngliches Leben  ohne „Ersatztätigkeiten“ führen. Was er getan hat, ist falsch, das ist keine Frage, doch lädt sein Manifest auch zum Nachdenken ein, er hat ein paar gute Punkte, die heutige Gesellschaft betreffend, nur das mit den Bomben hätte er irgendwie anders lösen müssen….

 Es gibt eine sehr sehenswerte Serie zum Unabomber, „Manhunt“ Staffel 1. Spannend ist das Thema „linguistische forensik“ und mir gefiel, dass hier nicht nur schwarz und weiß gedacht wurde: detective gut, Unabomber böse. 

Und am Ende hat man vielleicht nicht Mitleid, aber vielleicht Mitgefühl mit diesem Menschen, bei dem meiner Meinung nach die Sozialisation einfach komplett falsch gelaufen ist, und der eigentlich einfach im Wald seine Ruhe und seinen Frieden haben wollte. 

Daraufhin gehe ich doch dann morgen wieder in die Wälder Montanas. 

Adios.

6 thoughts on “Ulysses Pt. 2

  1. Servusle!
    So ein paar Montanas haben wir in Franken auch 🙂
    Besonderen Dank und Freude gilt unsere namentliche Erwähnung!
    Sunny greetings, keep foxing and hiking!
    Corinna & Harald

  2. Also ich kann mich nur wiederholen, wir sind unheimlich stolz auf eure Leistung und freuen uns schon sehr wenn wir mit euch persönlich über die letzten Monate sprechen können. Übrigens die Einladung zum Japaner oder alternativ wohin ihr auch wollt steht . Ganz liebe Grüße an euch zwaa

  3. Es ist so aufregend eure Beiträge zu lesen. Ich warte immer gespannt auf die nächsten.Etzele kommt der Endspurt für euch zwa . Viel Kraft und Durchhaltevermögen ,bald habt ihr euer Ziel erreicht.

  4. Liebe Myrtis,
    vielen Dank für eure regelmäßige „Berichterstattung“. Es ist wunderbar und so beeindruckend, was ihr auf eurem Weg so alles erlebt. Ich verfolge eure Geschichten regelmäßig und sage einfach nur Chapeau! Als „Normalo“ sind für mich eure kleinen wundervollen Geschichten ein kurzer Ausflug in eine andere Welt! Und diese tolle Frau saß mir für ein paar Monate gegenüber und hat mit mir gearbeitet! Alles Gute für euch Beide und haltet noch durch (ich habe keinen Zweifel)! Seid um, Annette

  5. Hallo Joker. Dieser Beitrag hat mir sehr gut gefallen. Und ja, man sollte den Menschen Ihre Freiheit lassen-bloß finde ein Plätzchen dafür und ja Montana hat da sicher viele Vorteile. Wir kennen dort auch sehr bodenständige Menschen und die sind vor allen Dingen verlässlich. Und Ihr schafft Euren Trail sicherlich vollends. Der Weg ist immer das Ziel, so man denn Ziele hat.

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