ULYSSES

Drei Jahre zuvor auf dem PCT:

New skin for the old ceremony (L. Cohen)

„Tereza, can we talk about blisters?“ „Sure, I‘m a nurse, you know?“ „What does it mean, if ugly yellow stuff is running out of my blister?“ „Oh, let me see. It is infected! And you need new skin!“

Aha! Ich brauche also neue Haut! Gut und schön, aber woher nehmen, wenn nicht stehlen??? Ich sehe mich schon nachts wie den „Hannibal Lecter der Hiker“ um die Zelte schleichen und jedem Weggefährten etwas Haut klauen. Diese nähe ich mir dann an, aus dem Rest bastel ich für Will Graham ein Zelt und vielleicht noch eine Windjacke… für alle, die die Serie Hannibal noch nicht gesehen haben: sorry für den Spoiler. 

Bevor meine Phantasie mit mir durchgeht, kehre ich zurück in die Gegenwart nach Lander/Wyoming. 2 Tage Pause haben wir hier nun eingeschoben, gestern konnte ich wegen meiner Blasen keinen vernünftigen Schritt machen. In den letzten Colorado-Tagen sind wir eigentlich die ganze Zeit über Schlammwiesen gelaufen, ziemlich logisch, denn die immensen Schneeberg schmelzen ja irgendwann. Deswegen hatten wir eigentlich immer nasse Füße, die Schuhe und Socken sind nie wirklich getrocknet und wenn, dann durften wir am nächsten Morgen gleich durch den nächsten Tümpel steigen. Alles umsonst. Danach der Todesritt durch das Basin: Hitze, roadwalk, big miles. Ich konnte die 4 Tage nur mit Iboprofen überstehen. Deswegen gönne ich den Füßen heute eine Pause in unserem Motel. 

Wie eigentlich jeder in diesem Motel sitze ich am Abend mit einer Dose Margarita (wahlweise Bier) vor der Tür und wir beschweren uns alle über die Hitze. Mein linker Fuß steckt im entleerten Bad-Abfalleimer, den ich mit Wasser und Salz gefüllt habe. Ich versuche, die Haut weich zu bekommen, um die Blase, die selbstgefällig und böse  unter der Hornhaut sitzt, dann mit einer Nadel den Garaus zu machen. Vorher habe ich meinen online Leibarzt „Mac the knife“ kontaktiert, der meinte: „in der Chirurgie sagt man, wenn einem nichts anderes einfällt: aufstechen!“ Mittlerweile sind wir uns so nahe, dass er weiß, wie eklig mein Fuß aussieht und mir Bilder von sich schickt…. 

Wenn ich ein Buch über den CDT schreiben müsste, wäre der Titel im Gegensatz zu „weed and feet“ für den PCT wohl „heat and feet“, oder besser: „Füße – ein Ärgernis“. Wenn ich an all die Vorkommnisse, die ich hier gar nicht explizit geschildert habe, mit meinem Knie in den ersten 2 Wochen und später mit meinem rechten Fuß, dem ich schon fast einen Ermüdungsbruch anhängen wollte, denke, ist der Titel passend.  

Zumindest hat mich das Rumsitzen heute darauf gebracht, eine neue Blog-Sparte einzuführen, die nicht zwingend den Trail nacherzählt, wie schon Thomas mit seiner Mixed up Kolumne. Denn generell gehen einem beim Laufen sehr viele Dinge durch den Kopf, oft ungewollt. Anders als Thomas habe ich mich dafür entschieden, mich nicht mit Musik abzulenken, sondern ganz und total in meinem Kopf zu sein. Das war auf dem pct gut, damals hatte ich einiges hin und her zu wälzen. Mein Vater war vor nicht allzulanger Zeit gestorben, ich war in einer midlife crisis, dachte über eine berufliche Veränderung nach und wollte herausfinden, ob wohl ein „anderes“ Leben möglich ist. Scheinbar habe ich die Antworten auf diese Fragen für mich gefunden, denn ich denke nun selten nach. Vielleicht ist der Trail zu anstrengend zum Nachdenken. Das hat auch seine Nachteile. Wenn man einfach nur im Moment ist, kann man den Klang der eigenen Trekking poles einfach nicht ausblenden und wird in deren Rhythmus hineingezogen, auf welchen man gezwungen ist, irgendein Lied zu trällern. Leider sind das meist keine tollen Lieder, oft eher Lieder, die es gar nicht gibt. Ich singe also Fuchs-Sachen wie „Ein Fuchs wird kommen/ er kommt geschwommen…“ oder „lobet den Fuchs, den mächtigen Herrscher der Wälder …“. Und ich kann nichts dagegen tun. Ein weiterer Klassiker meines Gehirns ist „Ooops I did it again, I peed on my shoe….“. Manchmal spuckt das Hirn aber auch gute Sachen aus. Leider dann in Dauerschleife. In New Mexico habe ich tagelang „quicksand“ von Bowie gesungen. Wahrscheinlich wegen des Sandes….

Ansonsten ist hiken ohne Musik und ohne schwere Problemlösung ein einziger „stream of consciousness“, der komplett logisch über mehrere ecken  z.b. „Mondfinsternis“ mit „Fackeln im Sturm“ verbindet. Aha, wird sich der aufmerksame Leser jetzt denken: „stream of consciousness“ – „Schule“ – „Literatur“ -„James Joyce“: deswegen hat sie die neue Sparte „Ulysses“ genannt! Keine weitere Interpretation nötig. 

Um noch einmal zu „Füße – ein Ärgernis“ zurückzukehren: ein hiker, „Poptart“, hat eine Lösung für eines der Fussprobleme gefunden: er hat sich alle Zehennägel entfernen lassen, so kann dort schon mal nichts passieren. Da ich im Moment auch 2 blaue Nägel habe, die wahrscheinlich irgendwann abfallen, finde ich die Idee fast schon genial. „Poptart“ wandert seit 3 Jahren, seit er in Rente gegangen ist. Natürlich nur Langstrecken-trails. Seine Frau findet das nur halbwegs gut. 

Zum Schluss dieses gesammelten Nonsenses noch ein typisches hiker-Gespräch: 

Am 2. Tag im Great Basin filtern wir Wasser an einem kleinen Bach. Kein cow-pond, echtes, fließendes Wasser! Es ist brüllend heiß, kein Schatten, nirgendwo. 3 andere hiker gesellen sich zu uns, jeder kocht schnell seine Ramen, da das gestern Abend wegen des Sturms nicht möglich war. Alle sind hungrig und reden nicht viel, bis einer das schweigen bricht: „ich habe gehört, dass morgen ein großer Fluss kommt.“ „Nein, das ist noch 60 Meilen entfernt, das ist erst übermorgen.“ „Ein Fluss, toll, vielleicht können wir darin schwimmen?“ „ja, super, Fluss, schwimmen, klasse!“

„Wisst ihr, was ich gehört habe? Morgen kommen wir an einem Baum vorbei!“ „Echt? Ist es ein großer Baum?“ „Oder sind da vielleicht mehrere?“ „Wow, wird ein super Tag morgen!“

In diesem Sinne: happy trails, happy foxes, happy life!

3 thoughts on “ULYSSES

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