Ich liebe diesen Moment des Tages und habe ihn gerne für mich allein. An keinem Ort der Welt wäre ich jetzt lieber.
Da wir die hohen Pässe so gut wie hinter uns haben, können wir wieder öfter ohne rainfly schlafen, was mein morgendliches Starren um so schöner macht. Kennedy meadows north symbolisiert das Ende der high sierras, das Ende unseres Aufenthalts an diesem unglaublichen Ort. Wunderschön bleibt die Landschaft, doch es bleibt ein leichter Stich im Herzen. Abschied nehmen ist immer schwer, von einer schönen Zeit, einer Lebensphase, von einem geliebten Menschen, weil wir Menschen mit den Enden schlecht umgehen können. Doch irgendwann schauen wir nicht mehr mit Schmerz zurück, sondern denken vor allem an die gute Zeit, die wir verbracht haben und an die Schönheit des Lebens.
Wir befinden uns auf den Pässen immer noch über 3000 Metern, doch ganz langsam werden die Berge niedriger. Mein diamox lasse ich bald weg, beim Atmen bekommt man langsam wieder besser Luft.
Immer noch reiht sich ein wunderschöner See an den anderen, die karge hochalpine Landschaft weicht einer alpinen. Das Dramatische wird weicher.
Blumen schiessen aus dem Boden, Gras folgt den Flüssen und breitet sich über Hügel aus, Schmetterlinge fallen wie Konfetti vom Himmel. Überall sprießt das Leben.
In South Lake Tahoe haben wir im Hostel ein echtes Bett! Als ich aus der langersehnten Dusche komme (nur mit meinem notdürftigen Strandkleid) steht da auf einmal ein junger Mann im Zimmer, nur mit Handtuch um die Hüften, der sich als Will aus London vorstellt. Eine Szene wie aus einem billigen Roman, ein bisschen starren, etwas flirten, ob ich mit ihm heute Abend zum See gehen möchte, fragt mich Will aus London, und ich sage, mein Plan ist eigentlich, mir mit den anderen hikern und meinem Mann, der gleich kommt, ein paar Margaritas reinzuziehen.
Und so beendet man als erwachsene Frau dann einen Flirt. Aber danke, Will aus London.
Wie schon in Kennedy nord, verbringen wir den Abend mit den anderen hikern. Leider ist auch „Inferno Man“ in unserem Zimmer, ein japanischer Ami in Rente, der immer das Gleiche erzählt, vornehmlich über sich, und sich kontinuierlich den ganzen Tag erst mit Bier und später mit Schnaps abfüllt. Ein nerviger Zeitgenosse. Irgendwann schwankt er jedoch ins Bett und macht bis zum Morgen keinen Mux.
Das Schöne an dem Hostel ist, dass wir selber kochen können. Goodbye trailfood, hello Spaghetti !!! Noch nie haben diese so unglaublich gut geschmeckt, wie an diesem Abend!
Da der campground in Lake Tahoe für pct hiker umsonst ist, bleiben wir dort am nächsten Tag noch für eine Nacht.
Wir müssen auch diverse Dinge erledigen: z. B. haben wir beide zusammen nur noch 2 Trekking poles. Thomas hat seinen Leki zuerst zerstört, und hat von Frazier, der sich neue gekauft hat, einen alten black Diamond bekommen. Dann habe ich meinen Leki zerstört und von Thomas seinen übriggebliebene Leki bekommen, den ich aber bald auch zerstöre. Alles klar?
Also: neue Trekking poles für uns beide, eine schwierige Sache, die lange recherchiert werden muss und dann so halb befriedigend gelöst wird. (Anm. d. Red.: Ich liebe meine neuen Stöcke)
Von Lake Tahoe aus wandern wir durch die wunderschöne Desolation Wilderness, die ein bisschen an die Wind River Range in Wyoming erinnert. Kristallklare Flüsse winden sich durch grüne Täler, hinter jeder Ecke spitzt ein neuer smaragdgrüner See hervor, pinke Blumen konkurrieren mit gelben um unsere Aufmerksamkeit. Eines morgens hören wir dann ein Geräusch, das ich zum letzten Mal in Arizona gehört habe: ein ziemlich großes Coyoten-Rudel!!!! Children of the Night! What music they make!
Seit Dracula weiß ich: Pfahl durchs Herz und Kopf ab. So tötet man Monster. Zu früher Triumph kann zum Verhängnis werden! Man denke nur an Oberyn und den Berg bei Got!
Mein neu erkorener Feind ist eine gelbe Fliege. Eine Beiß-Fliege! Diese bringt mich zum Rasen. Während ich wie Don Quijote gegen Windmühlen um mich schlage und das Vieh beschimpfe, beißt mich eine andere zum 10. mal in den Oberschenkel und trinkt mein Blut. Endlich erwische ich dann ein Exemplar mit meiner Mütze und ringe es zu Boden. Schadenfrohes Triumphgeheul und Siegestänze folgen und im Taumel überlege ich genüsslich, ob ich dem Monster mit dem Stein, oder dem Holzspiess den Garaus mache, stelle mir beide Methoden lechzend vor und wäge ab, welches Ende mir wohl die größeren Freuden bereiten würde. Wie der Berg erhebt sich das Vieh in meinem Triumph, schüttelt sich und fliegt davon, nur um mich eine Minute später wieder zu beißen.
Zur Feier von Thomas Geburtstag haben wir uns ein richtiges Hotel geleistet, nur für uns beide. Das hatten wir ewig nicht mehr. Eigene Dusche, bequemes Bett, Fernseher, Kühlschrank. Oh du schöne Zivilisation.
Happy trails
Deine dracularisch angehauchten Gewaltphantasien gegenüber den fliegenden Blutsaugern sind nachvollziehbar. Bedauerlich, dass ihr keinen Platz für einen elektrischen „Brutzler“ in eurem schmalen Gepäck habt. Er würde, auf Dauerfeuer einstellt, auch noch ein atmosphärisches Discolicht generieren, während er die gelben Fliegen ins Jenseits schockt! 🙂 Herrlich zu lesen, wie immer! 🙂
Ja, ich habe so oft an den brutzler gedacht, auch bei den mosquitos!
Danke! Du hast meinen Tag erheitetert
. Das freut mich!