PAYSON (m 387) – PINE (m 458)

CARCOSA
 
Ich stehe mitten im Nirgendwo in Arizona und schreie Fliegen an.  Durch die trockene, heiße Wüste, die wir zumeist durchqueren, hätte ich diese kleinen Plagegeister fast schon aus meinem Gedächtnis gestrichen. Doch nun befinden wir uns in den höher gelegenen „Mazzies“, und die Mistviecher werden zu meinem Problem, denn sie surren, nerven und verfolgen mich nicht nur, sondern wollen auch in sämtliche Öffnungen meines Gesichts kriechen, sogar unter meine Sonnenbrille! Meine Wutausbrüche und mein Gefuchtel stören die Fliegen recht wenig, fast schlage ich mich beim Versuch, sie zu erwischen, selbst ins Gesicht. Letztendlich spiele ich Eidechse und sperre einfach mein Maul auf, in der Hoffnung, sie mögen einfach hineinfliegen….
Und nein, das war auf dieser eigentlich sehr kurzen Etappe nicht das einzige Mal, dass bei mir die Kernschmelze kurz bevor stand.
Schon alleine das Hitchen nach Payson war nervtötend. Wir stehen über eine Stunde am Highway 87 und nichts funktioniert. Mit Rucksack, ohne Rucksack, leidend schauend, fröhlich winkend, ich alleine, beide zusammen: nichts. Letztendlich habe ich noch die Idee, meine leggins, die ich noch unter meinem skort trage, auszuziehen. Da ich schon genervt bin, ist mir alles egal und ich ziehe mich einfach mitten auf einem viel befahrenen Highway um, was die prüden Amis natürlich nun glotzen lässt. Verschwitzt, verschrammt und nur mit Unterhose bekleidet schreie ich nun Autos hinterher: noch nie eine wütende Frau in Unterhose gesehen???!!!
Endlich erlöst uns „squirrel daddy“, er hat den Trail vor 2 Tagen beendet und will eigentlich gar nicht nach Payson, fährt uns die 30 Meilen aber trotzdem. Ein cooler Typ.
Nach einem fetten Frühstück geht es uns gleich besser und wir beginnen gleich, unsere wichtigen Erledigungen, die sich hauptsächlich ums Rauchen drehen, anzugehen. Dabei treffen wir Ted, der uns am nächsten Tag zum Trail zurückfahren will. Viele Einheimische in Payson shutteln Hiker für einen gewissen Betrag, deswegen frage ich ihn, was es bei ihm kostet. „No darling, nothing!“  ist seine Antwort. Payson wird immer besser! Auf dem Weg ins Hotel treffen wir noch Krista, die etwas verspult ist, uns aber ihre Dusche und Würste anbietet, was wir dankend ablehnen.
Der gute Teddy, ein älterer Herr mit Walross-Bart, holt uns dann tatsächlich am nächsten Tag vor dem Tempel aller Truhiker, Walmart, ab. Eigentlich glaube ich ja immer an das Beste im Menschen, trotzdem habe ich eine morbide Ader. Deswegen erzähle ich Thomas in den prächtigsten Farben, was Teddy, der Serienkiller, alles mit uns machen könnte ….. foltern, an Fleischerhaken aufhängen, lebendig begraben, seiner Frau als Geschenk bringen……und steige zu ihm ins Auto.
Ted ist einfach ein netter Kerl, der glaube ich einfach zu viel Geld und Zeit hat. Deswegen plaudert er gerne mit hikern. Zurück auf dem Trail geht es nun in die „Mazzies“, diverse Hügel, die uns bis nach Pine begleiten werden. Anfangs läuft es ganz gut, es ist etwas langweilig und ich sehne mich schon bald zurück in die wunderschöne Bilderbuch-Landschaft der letzten Etappe. Die Kakteen, die in meiner Phantasie bis in den Himmel wachsen, hoch aufragende, gelbe, rote, orange Wüstenberge, die alles überblicken, Tore aus Stein zu anderen Welten. Ich spüre fast, wie der Wind ein paar Tropfen Wasser des riesigen Sees, an dessen Ufer wir aufsteigen, mitnimmt und über uns fallenlässt. Vom Grat ist er fast so groß wie der Ozean……
Hier sind leider nur grüne Hügel und Steine.
Der nächste Tag ist einfach nur schrecklich. Steiler Anstieg hinauf, steilerer Abstieg hinunter, alles gespickt mit Steinen, über die man mit schwerem Rucksack balancieren muss, was sehr auf die Kraft und auf die Knie geht. Mein linkes Knie ist seit Kearny eigentlich im Dauerschmerz. Anfangs konnte ich es mit einer Bandage beruhigen, jetzt nervt es immer mehr. Ich hatte das schon öfter, auch zu Hause, beim Trainieren, 3 verschiedene Ärzte und 3 verschiedene Meinungen. Und dann war es auf einmal immer wieder verschwunden, wie ein schlechter Traum. Mit der Familienpackung Ibuprofen im Gepäck warte ich auf diesen zauberhaften Tag des Verschwindens.
Die meisten anderen Hiker, die wir so treffen, sind noch eine Nacht in Payson geblieben, außer Steady, der ist ohne Übernachtung  weitergelaufen und irgendwo vor uns. Da wir ja viel Zeit haben, und 20 Meilen am Tag völlig ausreichen, sind die Jüngeren alle an uns vorbeigezogen. Meistens Jungs ca Ende 20, mit eher 25-30 Meilen am Tag. So bleibt man halt dann in der Rentner-Gruppe hängen:
Steady ist 64 und wie ein alter, weiser Uhu. Er dreht seinen Kopf in alle Richtungen, wie ein Orakel kennt und weiß er alles und erzählt mit sanfter Gandalf-Stimme vom Wetter, anderen hikern oder was noch kommen wird. Uncle Tom schätze ich noch älter, ein riesiger, muskulöser Mann mit sämtlichen Trail tattoos auf seinen Waden: PCT, CDT, AT.
True ist nicht ganz so alt, aber etwas Crazy. Sie läuft mit Uncle Tom und 2 Hunden, die ich jedes Mal ausgiebig streichle. Bubblehead hat auch Knie und und macht einen Doppel Zero. Allie und Michael sind erstmal raus, Michael hat Hüfte, erzählt Steady mir mit beschwörender Stimme. Schade, Michael war sehr witzig: „Schatz, du brauchst dich zum Umziehen nicht verstecken. Die sind Deutsche. Die sind andauernd nackt.“
So sind wir also vorerst ganz allein. Vielleicht bin ich durch mein Knie-Problem genervt, vielleicht deswegen auch nicht ganz so trittsicher, oder das Gelände ist einfach furchtbar: auf diesem Abschnitt stolpere ich 4 mal und falle mit schwerem Rucksack schön der Länge nach voran auf den steinigen Boden. Ich sammle gerade Wunden, Abschürfungen und Kratzer. Und wenn es nicht so schmerzhaft wäre, muss ich dann fast schon selbst über mich lachen, wenn ich versuche, wie ein fetter Käfer mit dem Rucksack auf dem Rücken wieder aufzustehen.
Der letzte Tag wird dann doch noch ganz schön. Endlich verlassen wir die „Mazzies“ wieder und die Landschaft wird interessanter. Wacholderbäume werfen gerade ihre Früchte ab, was einfach unglaublich aussieht: auf braunrotem Sand und Stein liegen hunderte lila-lavendelfarbene Beeren verstreut! Ein Farbspektakel! Aus der Ferne scheint es, als würde jeder Baum einem kleinen See entwachsen…….
Auf einmal stehe ich in einem Wald aus Knochen! Die großen, weißen Steine ähneln Gebeinen, die sich um uns herum auftürmen, eine phantastische Landschaft, eine ferne Welt von Lovecraft. Wie ein seltsames Kind steige ich über Knochen in roter Erde, die dunkle Augenhöhle eines halben Alienschädels glotzt mich an. Wer hier wohl gegen wen gekämpft hat? Wenn jetzt gleich eine 2. Sonne auftaucht, sind wir durch irgendeinen Schlupfwinkel auf einen anderen Planeten gewandert.
Erst jetzt bemerke ich, dass die Juniper trees aussehen, als hätte man ihre Muskeln freigelegt, feine Stränge, Bäume wie aus Körperwelten. Gehäutet und erstarrt in stummem Schrei.
Einfach Phantastisch.
Ich bin bester Stimmung und denke gerade über Lovecraft, Robert Chambers gelben König und Bierces Carcosa nach, dadurch übersehe ich mal wieder eine Schlange.
Wunderschön hat sie sich um einen schwarzen Ast, der auf dem Boden liegt, gewunden und ist so ungemein gut getarnt: sie ist nämlich pechschwarz! Ein Fabelwesen!  Wie könnte es in dieser magischen Welt auch anders sein. Hypnotisierend bewegt sie ihren Schlangenkörper in Wellen von links nach rechts, ihr Kopf bleibt züngelnd in der Mitte.
Am Abend holen wir dann tatsächlich Steady ein, der 1000 Ausreden parat hat, warum er so langsam war, und zelten eine Meile weiter, um morgen möglichst früh nach Pine zu laufen. Von dort trennen uns noch ca 100 Meilen von Flagstaff, wo wir neue Schuhe kaufen wollen, nochmal 100 Meilen weiter wäre dann schon der Grand Canyon!

4 thoughts on “PAYSON (m 387) – PINE (m 458)

  1. Danke, dass ihr uns an euren Erlebnissen teilhaben lasst. Myrtis wir wünschen dir alles Gute für dein Knie,dass dann bald wieder besser wird. Euch noch einen angenehmen Trail.

  2. Hallo Myrtis, vielleicht hast ja ne Baker-Zyste. Die kann kommen und auch wieder gehen. Hatte ich auch Beschwerden mit. Vielleicht hilft ein Quarkwickel oder auch essigsaure Tonerde. Bei mir ging es ohne Hammer IBU. Viel Erfolg und gute Besserung!

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